23.6.16

Wie es wirklich war

Im Anfang schuf Gott erst mal gar nichts. «Dafür ist auch morgen noch Zeit», sprach er und strich sich zufrieden über den Bart.

Am zweiten Tag sprach Gott: «Ach, es sind ja noch fünf Tage übrig», und sank wieder in die Kissen.

Am dritten Tag wollte Gott schon anfangen, das Licht von der Finsternis zu scheiden, aber kaum hatte er sich auch nur einen Kaffee gekocht, war der Tag irgendwie schon vorbei.

Am vierten Tag dachte Gott ernsthaft darüber nach, jemand anderen die ganze mühsame Schöpfungsarbeit machen zu lassen. Aber es war ja noch niemand da.

Am fünften Tag hatte Gott andere Dinge zu erledigen, die viel dringender waren.

Am sechsten Tag überlegte Gott, ob es wohl möglich war, sich irgendwie aus der Affäre zu ziehen. Es fiel ihm aber nichts Rechtes ein. Schließlich war er allmächtig, was die meisten Ausreden ein bisschen unglaubhaft wirken lässt.

Am Sonntag um fünf vor zwölf schließlich schluderte Gott hastig irgendwas hin: Wasser, Erde, Tag, Nacht, Tiere, Zeugs. Dann betrachtete er sein Werk und sah, dass es so lala war. «Aber für nur fünf Minuten», sagte er, «gar nicht so schlecht!»


Aus: Kathrin Passig & Sascha Lobo, Dinge geregelt kriegen - ohne einen Funken Selbstdisziplin, Berlin: Rowohlt, 2008, 7f.

19.6.16

Gottes Nähe spüren?

Ich weiss nicht, wie oft ich schon in einem Gottesdienst die Bitte an Gott gehört habe: "Lass uns deine Nähe spüren!"

Wie würde sich Gottes Nähe anfühlen?

Warum bitten wir Gott nicht gleich, sich für uns sichtbar zu machen? Oder laut und deutlich zu uns zu sprechen?

Weil wir wissen, dass diese Bitten nicht erhört werden? Und weil man beim Spüren leichter mogeln bzw. sich etwas vormachen kann?

Gott kann man nicht sehen.
Gott kann man nicht hören.
Gott kann man nicht spüren.
Gott kann man nicht riechen.
Gott kann man nicht schmecken.

Der Glaube an Gott, das Vertrauen auf ihn, sollte bessere Gründe haben als ein diffuses Spüren oder Nicht-Spüren. Sonst ist er auf Sand gebaut.