Dieser Satz von Dietrich Bonhoeffer
wird häufig zitiert. Was bedeutet er? Und stimmt er überhaupt?
Wenn es keinen Gott gibt, den es gibt,
scheint das nichts anderes zu besagen, als dass es keinen Gott gibt.
Denn einen Gott, den es gibt, gibt es nicht, und einen Gott, den es
nicht gibt, gibt es ja wohl auch nicht. Sagt Dietrich Bonhoeffer also – ein
wenig verklausuliert – nichts anderes als: Es gibt keinen Gott?
Oder will Dietrich Bonhoeffer gerade diese
paradoxe Überlegung bei seinen Lesern (und Leserinnen) wachrufen:
Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht. Aber einen Gott, den es nicht
gibt, gibt es vielleicht doch – ja, wenn es überhaupt einen Gott
gibt, dann müsste das vielleicht genau so ein Gott sein, den es
nicht gibt. Also nicht: Es gibt keinen Gott, sondern: Gott gibt es
nicht. – Aber ist diese Überlegung nicht einfach nur sinnlos?
Läuft sie nicht letztlich ebenfalls darauf hinaus, dass es keinen
Gott gibt?
Macht es Sinn, von Gott zu sprechen und über Gott nachzudenken – und vielleicht sogar an Gott zu glauben – wenn es keinen Gott gibt? Für die Theologie wäre das wohl kein großes Problem – schließlich kommt ja auch die Psychologie ohne Seele ganz gut zurecht – und die Philosophie ohne Weisheit. (Wer's nicht glaubt, schlage nach bei Google unter „Gott-ist-tot-Theologie“.) Aber kann man an einen Gott glauben, auf einen Gott vertrauen, den es nicht gibt?
(Die Frage ist nicht so absurd, wie sie
zunächst erscheinen mag. Hiob z.B. vertraut – oder hofft
verzweifelt – darauf, dass Gott sich ändern wird: Jetzt ist Gott
sein Feind, der ihn ohne Grund und völlig zu Unrecht plagt; einst
aber wird er als Hiobs Anwalt und Beistand seine Unschuld verteidigen
[Hiob 19]. Hiob hofft also auf einen Gott, den es [noch] nicht gibt –
und er hofft, dass der Gott, den es gibt, sich in diesen Gott, den es
[noch] nicht gibt, verwandeln wird. – Doch handelt es sich hier um
Glauben im Sinne von [begründetem] Vertrauen oder eher um eine
verzweifelte Hoffnung? Hat Hiobs Erwartung einen Grund in seiner
Erfahrung, oder entspringt sie bloßem Wunschdenken?)
In der Bibel wird vielfach von Gott
(oder den Göttern) gesprochen, als sei er (oder seien sie) ein Teil
der Welt. Er wohnt im Tempel, auf einem Berg oder im Himmel. Er zieht
mit seinem Volk in den Krieg und bewirft seine Feinde mit
Hagelsteinen. Er geht in der Abendkühle im Paradiesgarten spazieren
und besucht Abraham und Sara in ihrem Zelt. Er begleitet Jakob auf
seinem Lebensweg – größtenteils dezent im Hintergrund und
unsichtbar, doch gelegentlich erscheint er ihm auch im Traum oder als
ein unheimliches Wesen, das in der Nacht mit ihm kämpft.
Doch im Lauf der Zeit gewinnt die
Einsicht Raum, dass Gott als Schöpfer der Welt kein Teil der Welt
ist, sondern ihr gegenübersteht. Wenn Gott, als der Schöpfer von
allem, unterschieden werden muss von allem Geschaffenen, dann kann er
mit nichts in der Welt verglichen werden und kann ihn die Welt nicht
fassen, weil er ihre Grenzen übersteigt. „Wem wollt ihr mich
vergleichen, dass ich wäre wie er? spricht der Heilige“ (Jesaja
40,25). „Der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht
fassen“ (1.Könige 8,27).
Kann es so einen Gott geben? Gibt es
ihn? Sicher nicht so, wie es irgend etwas in der Welt gibt,
lokalisierbar und identifizierbar in Raum und Zeit. Denn die Welt,
der Raum und die Zeit, sind ja Geschöpfe Gottes.
Doch gibt es die Welt überhaupt? Wenn
ja, dann gibt es sie anders als es etwas in der Welt gibt, denn die
Welt ist ja nicht in der Welt, im Raum und in der Zeit lokalisierbar
und identifizierbar. Soll man also sagen: Es gibt keine Welt? (Oder:
Die Welt gibt es nicht?) – Oder soll man sagen: Es gibt die Welt,
aber „es gibt“ bedeutet in Bezug auf die Welt nicht dasselbe wie
in Bezug auf etwas in der Welt?
Noch etwas anderes scheint „es gibt“
zu bedeuten, wenn man sagt, es gebe eine (oder mehrere) Lösung(en)
für eine mathematische Gleichung, es gebe gewisse physikalische
Konstanten oder es gebe verschiedene philosophische Theorien der
Erkenntnis.
Gibt es Freiheit, gibt es
Gerechtigkeit, gibt es Liebe – und wenn ja: In welchem Sinne kann
man sagen, dass es sie gibt (oder nicht gibt)?
Es ist sicher nicht sinnlos, von
Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe zu sprechen. Wir erleben uns selbst
oder andere in konkreten Situationen als frei oder als unfrei. Wir
empfinden bestimmte Regeln, Vorgänge oder Zustände als gerecht oder
als ungerecht. Wir machen verschiedene Erfahrungen damit, wie es ist
geliebt zu werden oder zu lieben, von Gefühlen der Liebe überwältigt
zu werden oder es nicht fertigzubringen einen Menschen zu lieben. Aus
solchen Erfahrungen entwickeln wir mehr oder weniger vague
Vorstellungen von Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe, die wir zur
Deutung neuer Erfahrungen einsetzen und die sich durch neue
Erfahrungen immer wieder verändern können.
In diesen Zusammenhängen kann es
durchaus sinnvoll sein, zu sagen, es gebe Freiheit, Gerechtigkeit
oder Liebe – wobei „es gibt“ dann nochmal einen etwas anderen
Sinn hat als in Bezug auf Sachverhalte in der Welt, in Bezug auf die
Welt als Ganze oder in Bezug auf mathematische, physikalische oder
philosophische Gegebenheiten. Ob es Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe
„gibt“, meint dann etwa, ob unsere diesbezüglichen Erfahrungen
tatsächlich miteinander zu tun haben, in dieselbe (oder eine
ähnliche) Richtung verweisen und sich sinnvoll in einen größeren
Zusammenhang einfügen – den wir dann als Freiheit, Gerechtigkeit
oder Liebe bezeichnen.
Man kann freilich durchaus all dies
bejahen und trotzdem der Ansicht sein, dass es Freiheit,
Gerechtigkeit und Liebe nicht „gibt“ – eben weil es sie nicht
in dem Sinne „gibt“, wie es etwas in der Welt oder die Welt
selbst oder Gedanken und Theorien „gibt“.
Ähnlich, wenn auch noch etwas
komplexer, stellt sich die Frage dar, ob es Gott gibt. Auch hier
verweist der Ausdruck „Gott“ auf eine Fülle von Erfahrungen, wie
sie z.B. in der Bibel oder in anderen religiösen Traditionen mit
Gott (oder Göttern) in Verbindung gebracht werden: das Staunen über
die Schönheit der Welt, das Gefühl unbedingter moralischer
Verpflichtung, Erfahrungen des Scheiterns und der Rettung, des
Versagens und der Vergebung, des Geliebt-Werdens und der Befähigung
zu lieben ...
Auch hier stellt sich die Frage, ob
sich solche Erfahrungen sinnvoll zusammenfügen und in ein größeres
Ganzes einordnen oder ein solches größeres Ganzes wenigstens
erahnen lassen. Und auch hier kann man all dies bejahen und sagen: Es
gibt Gott – oder diese Aussage lieber vermeiden – oder sogar mit
Gründen sagen: Es gibt keinen Gott.
„Die Toren sagen in ihren Herzen: Es
gibt keinen Gott (bzw. keine Götter)!“ heißt es gleichlautend in
Psalm 14 und Psalm 53. Diese Psalmen wurden in einer Zeit und in
einem kulturellen Kontext geschrieben, in denen die Existenz Gottes
(bzw. der Götter) noch keine Frage des Glaubens war, sondern zur
Allgemeinbildung gehörte: Dass es Gott (bzw. Götter) gab, war so
selbstverständlich wie dass die Sonne jeden Morgen im Osten aufging
oder dass die Toten in die Unterwelt hinabstiegen. Heute ist uns
diese Selbstverständlichkeit abhanden gekommen, so dass selbst
Theologen und Theologinnen sagen können: Einen Gott, den es gibt,
gibt es nicht – oder kürzer: Es gibt keinen Gott.
Vielleicht ist es heute von einem
christlichen Standpunkt aus betrachtet gar nicht so wichtig, ob man
sagt: Es gibt Gott – oder: Es gibt keinen Gott (oder: Gott gibt es
nicht). Wichtiger ist, was man jeweils damit sagen will – und am
wichtigsten ist, was Gott von uns erwartet und wie er zu uns steht,
ob es ihn nun gibt oder nicht.