19.3.12

Ist der Glaube an die Auferstehung wesentlich für das Christentum?

Paulus war dieser Ansicht. Im 1. Korintherbrief, Kapitel 15, wendet er sich gegen Christen in Korinth, die sagen, dass es keine Auferstehung der Toten gebe. Ihnen hält er entgegen (ich zitiere nach der Elberfelder Uebersetzung):

Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, so ist auch Christus nicht auferweckt. Wenn aber Christus nicht auferweckt ist, so ist auch unsere Predigt inhaltslos, inhaltslos aber auch euer Glaube ... Wenn Christus nicht auferweckt ist, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden. Also sind auch die, welche in Christus entschlafen sind, verloren gegangen. Wenn wir allein in diesem Leben auf Christus gehofft haben, so sind wir die elendesten unter allen Menschen ... Wenn Tote nicht auferweckt werden, so lasst uns essen und trinken, denn morgen sterben wir.


Um Paulus nicht falsch zu verstehen, muss man sich zunächst einmal klar machen, was er mit Auferstehung meint. Paulus spricht in diesem Zusammenhang nicht wie die Evangelien (die er ja erst einige Zeit nach ihm verfasst wurden) davon, dass der Leichnam Jesu aus seinem Grab verschwunden sei. Er erzählt auch keine Geschichten, in denen Jesus als Auferstandener zu seinen Jüngern kommt wie ein Mensch, den sie vielleicht zuerst gar nicht erkennen, der mit ihnen isst, sich von ihnen berühren lässt und dann nach einiger Zeit vor ihnen in den in den Himmel auffährt.

Paulus spricht einzig und allein davon, dass Jesus nach seinem Tod Menschen erschienen ist (bzw. sich sehen liess): Zuerst Kephas (Petrus), dann den Zwölfen (einschliesslich Judas?!), dann mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, danach Jakobus, allen Aposteln (die also nicht mit den Zwölfen identisch sind?!) und zuletzt Paulus. Man muss sich diese Erscheinungen wohl als visionäre Erlebnisse vorstellen. Im Galaterbrief, Kap. 1, spricht Paulus von einer Offenbarung Jesu Christi. In der Apostelgeschichte des Lukas, Kap. 9, 22 und 26, wird diese Offenbarung so dargestellt, dass Paulus am Himmel ein helles Licht sieht und eine Stimme hört, die mit ihm spricht.

Daraus, dass Jesus in Visionen gesehen oder zumindest gehört wurde, schliesst Paulus, dass er auferstanden ist, ohne sich diese Auferstehung konkret auszumalen. Wichtig ist nur, dass Jesus am Kreuz nicht gescheitert ist, sondern von Gott bestätigt wurde und weiter wirkt, indem Menschen von ihm inspiriert werden, ihr Leben nach seinem Vorbild zu führen. Auf diese Weise hat Jesus den Tod entmachtet: Der Tod konnte ihn und sein Anliegen nicht zunichte machen.

Seine eigene Hoffnung und die seiner Mitchristen beschreibt Paulus mit dem Bild eines Samenkorns, aus dem eine Pflanze entsteht: Du säst nicht den Leib, der werden soll, sondern ein nacktes Korn ... Gott aber gibt ihm einen Leib, wie er gewollt hat, und jedem Samen seinen eigenen Leib. Wenn Paulus also auf eine Auferstehung hofft, dann erwartet er nicht, dass sein Körper irgendwie wieder hergestellt und wieder belebt wird, sondern dass er verwandelt wird in einen neuen Menschen, der sich vom alten so sehr unterscheidet wie ein Baum von dem Samenkorn, aus dem er entstanden ist.

Diese Vorstellung einer Auferstehung ist für uns heute wohl eher nachvollziehbar als die Legenden, die die Evangelien über die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu erzählen. Ein Mensch besteht ja nicht nur aus seinem Körper, sondern auch aus einer Fülle von Beziehungen zu anderen Menschen (und zu Gott), aus Eindrücken, Erinnerungen und Erwartungen, die andere Menschen mit ihm verbinden, aus Gedanken und Gefühlen, Werten und Zielen, die er anderen Menschen vermittelt hat. Ein Mensch lebt weiter in den Spuren, die er in dieser Welt hinterlässt, über seinen leiblichen Tod hinaus, und in der Erinnerung Gottes.

Und wenn diese Spuren sich nach langer Zeit verlieren sollten? Wenn das Universum verdampft oder kollabiert? Wenn selbst Gott uns irgendwann einmal vergisst? Sind wir dann wirklich die elendesten von allen Menschen, wie Paulus meint? Könnte es nicht auch sein, dass Gott uns Menschen als endliche Wesen geschaffen hat, die so wie sie entstehen auch wieder vergehen? Müssten Menschen, die nicht bereit sind zu akzeptieren, dass ihr Leben ein Ende haben wird, nicht auch dagegen protestieren, dass es einen Anfang hatte? Sollten wir nicht glücklich sein, wenn wir am Ende unseres Lebens sagen können: Wir sind unnütze Sklaven, wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren (Lukas 17,10) - ohne dafür irgendeine Belohnung zu erwarten?

Und wie steht es mit den Sünden? Warum meint Paulus, dass es ohne Auferstehung keine Befreiung von der Sünde gibt? Er scheint hier nicht daran zu denken, dass Jesus für die Vergebung unserer Sünden sterben musste, denn er spricht ja nicht davon, dass der Tod Jesu für die Befreiung von den Sünden entscheidend ist, sondern die Auferstehung. Denkt er daran, dass Jesus zu Lebzeiten Menschen ihre Sünden vergeben hat, dass sein schändlicher Tod am Kreuz seine Berechtigung dazu in Frage stellen könnte und seine Auferstehung sein Wirken dann doch bestätigt? Oder denkt er daran, dass Christen von der Sünde befreit werden, indem sie mit Christus sterben und mit ihm auferstehen (vgl. Römer 6)?

In jedem Fall ist mit Auferstehung hier keine mirakulöse Wiederbelebung nach dem leiblichen Tod gemeint, sondern eine radikale Verwandlung des Menschen. Zu dieser Verwandlung gehört es ganz wesentlich, sich selbst aufzugeben, sein Leben nicht festhalten oder wieder gewinnen zu wollen, sondern sich hinzugeben an ein Leben in der Liebe, die Jesus verkörpert. Ich bin mit Christus gekreuzigt, und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir (Galater 2,19f). Wer schon jetzt so lebt, erwartet nichts anderes nach seinem Tod.

Ist also der Glaube an die Auferstehung wesentlich für das Christentum? Das kommt wohl darauf an, was man mit Auferstehung meint ...