Aert de Gelder - Het loflied van Simeon (ca. 1700-1710)
... Und da war in Jerusalem einer mit Namen Simeon, und dieser Mann war gerecht und gottesfürchtig; er wartete auf den Trost Israels, und heiliger Geist ruhte auf ihm. Ihm war vom heiligen Geist geweissagt worden, er werde den Tod nicht schauen, bevor er den Gesalbten des Herrn gesehen habe. Nun kam er, vom Geist geführt, in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus hereinbrachten, um an ihm zu tun, was das Gesetz des Herrn vorschreibt, da nahm er es auf die Arme und pries Gott und sprach:
Nun lässt du deinen Diener gehen, Herr,
in Frieden, wie du gesagt hast,
denn meine Augen haben das Heil gesehen,
das du vor den Augen aller Völker bereitet hast,
ein Licht zur Erleuchtung der Heiden
und zur Verherrlichung deines Volkes Israel.
Und sein Vater und seine Mutter staunten über das, was über ihn gesagt wurde. Und Simeon segnete sie und sagte zu Maria, seiner Mutter: Dieser hier ist dazu bestimmt, viele in Israel zu Fall zu bringen und viele aufzurichten, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird - ja, auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen -, damit aus vielen Herzen die Gedanken offenbar werden ...
(aus Lukas 1, Zürcher Bibel)
So wie die Erzählungen über die wunderbare Empfängnis und Geburt Jesu soll auch diese Geschichte zeigen, dass Jesus von Anfang an ein ganz besonderer Mensch war. Aber auch Simeon ist eine bemerkenswerte Persönlichkeit.
Es genügt ihm zu sehen, dass der "Gesalbte des Herrn", der Messias, geboren ist. Er ist damit zufrieden, dass er "das Heil gesehen" hat, das doch in diesem Baby allenfalls erst zu erahnen ist. Er bittet nicht darum, die Verwirklichung dieses Heils mitzuerleben. Vielleicht ist er schon zu alt, als dass er noch so lange leben könnte, bis dieses Kind erwachsen ist? Es genügt ihm zu wissen, dass das Heil kommen wird. Wie Mose sieht er das verheissene Land, kommt aber selbst nicht hinein. Aber er äussert kein Wort des Bedauerns darüber. Das Schicksal des Volkes Israel und der Gesamten Menschheit ist ihm wichtiger als sein eigenes Heil.
Und Simeon rechnet damit, dass der Messias kein Heil im Sinne von "Friede, Freude und Eierkuchen" bringen wird, sondern Veränderungen und Diskussionen auslösen wird, die durchaus auch schmerzhaft sein werden. Vielleicht wäre Simeon selbst überrascht, vielleicht sogar enttäuscht gewesen, wenn er miterlebt hätte, was aus dem Baby geworden ist, das er auf seinen Armen hatte. Kein grosser politischer Anführer und Befreier, sondern ein Lehrer der einfachen Leute, Exorzist und Wunderheiler, am Ende von den Römern hingerichtet als vermeintlicher Rebell.
Vielleicht hätte es Simeon ja gefallen, dass das Heil etwas anders kam, als er es sich erwartet hatte. Dass es ihm genügte, seine allerersten Anfänge mitzuerleben, dass ihm das Heil der Menschheit viel wichtiger war als sein eigenes Heil, das macht ihn zu einer eindrücklichen Nebenfigur in der Geschichte Jesu.