6.8.19

Religion à la carte

In der NZZ vom 25. Juli 2019 (S. 33) schreibt Laila Mirzo: "Ein aufgeklärter Mensch kann sich von
Mohammed nur distanzieren. Ein Austritt aus dem Islam wäre die einzig logische Konsequenz." Reinhard Schulze hat in der NZZ vom 3. August 2019 (S. 35) eine Replik auf ihren Artikel veröffentlicht. Ich möchte hier nur dessen oben zitierte Schlusssätze kritisch in Frage stellen: Stimmt es, dass man aus dem Islam austreten muss, sobald man sich von Mohammed distanziert und ihn kritisiert?

(Ich verstehe "sich distanzieren von" im Sinne von "nicht in allen Punkten übereinstimmen mit", nicht im Sinne von "nichts zu tun haben wollen mit". Vielleicht hat Laila Mirzo es anders gemeint und ist der Ansicht, dass es bei Mohammed und beim Islam überhaupt nichts Gutes und Bedenkenswertes gibt. Dann gehen meine folgenden Überlegungen an ihrer Argumentation vorbei. Aber dann wäre ihre Argumentation auch höchst pauschal und fragwürdig.)

Ich denke, man muss eine Religion (oder eine Kultur) nicht als Paket einkaufen und komplett übernehmen oder komplett ablehnen. Man kann auswählen, was einem einleuchtet, verwerfen, was einem nicht gut erscheint, bewahren und pflegen, was ein wenig seltsam ist und womit man nicht viel anfangen kann, was sich aber früher einmal als sinnvoll bewährt hat und vielleicht in Zukunft wieder einmal hilfreich sein könnte.

Religionen verändern sich ja auch im Verlauf der Geschichte. Und zu jeder Zeit interperetieren und praktizieren verschiedene Anhänger*innen sie auf unterschiedliche Weise. Der religionsinterne Pluralismus und die Religionsgeschichte geben den Anhänger*innen einer Religion die Freiheit, ihre Religion zu verändern oder sie sich auf ihre Weise zurecht zu legen.

Diese Art der Religionsfreiheit ist nicht erst eine Errungenschaft der Moderne und des Säkularismus. Es hat sie schon immer gegeben (auch wenn es in den verschiedenen Religionen auch immer wieder Bestrebungen gegeben hat, diese religionsinterne Religionsfreiheit einzuschränken). Sie wird heute oft übersehen -  vielleicht wegen einer weithin mangelhaften Kenntnis der Religionen und ihrer Geschichte.