16.7.12
Jesus Christus
Jesus Christus wird heute wohl von den meisten Menschen als ein (Doppel-) Name verstanden. Eigentlich ist aber nur Jesus ein Name (hebräisch Jeschua, eine Kurzform von Jehoschua/Josua, Bedeutung: Jahwe ist Rettung), Christus hingegen ein Titel (griechisch christos = der Gesalbte = hebräisch maschiach/Messias). Jesus Christus bedeutete also ursprünglich Jesus, der Messias, oder der Messias Jesus (im Neuen Testament findet sich dementsprechend auch öfters diese Wortstellung: Christus Jesus).
Als Messias/Gesalbter wurde im Alten Testament ursprünglich (bis etwa zum Ende des Staates Juda 587 v.u.Z.) nur der Jerusalemer König bezeichnet. Er wurde bei seiner Inthronisation mit heiligem Öl gesalbt und damit zum Sohn Gottes erhoben (vgl. Psalm 2). Als solcher übte er stellvertretend die Herrschaft Gottes auf der Erde aus und war für Menschen unantastbar (vgl. 1. Samuel 24,7.11). Wie man sich einen idealen König vorstellte, zeigt beispielhaft Psalm 72: Unter seiner Herrschaft geht es dem Volk Israel gut. Er sorgt für Gerechtigkeit, d.h. einen sozialen Ausgleich zwischen Reichen und Armen, Starken und Schwachen. Das Wetter ist gut, das Land fruchbar, Ackerbau und Viehzucht gedeihen prächtig. Die Feinde sind unterworfen, müssen Tribut zahlen und tragen so zum Wohlstand des Israels bei.
Als es (nach 587 v.u.Z.) in Jerusalem keinen König mehr gab, entstanden Hoffnungen auf einen neuen König, die immer weiter gesteigert wurden: Er würde den Kriegen ein Ende machen, sogar in der Tierwelt würde Frieden herrschen, kein Wolf würde mehr ein Lamm reißen, Löwen würden Gras fressen wie die Kühe, keine Giftschlange würde durch ihren Biss ein Kind töten (vgl. Jesaja 9 und 11, Micha 5). Diese so genannte Messias-Hoffnung (die Texte verwenden freilich den Titel Messias nicht) war allerdings im Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels nicht unumstritten. Der Prophet Deuterojesaja nennt in der Zeit des babylonischen Exils (oder kurz danach) den persischen König Kyros Messias (Jesaja 45,1) - und fordert damit dazu auf, sich mit der persischen Oberherrschaft zu arrangieren, statt auf politische Unabhängigkeit und einen eigenen König zu hoffen. Die Verfasser der Priesterschrift bezeichnen den Hohenpriester als Messias (Levitikus 4,3.5) - und deuten damit an, dass für sie die kultisch-religiöse Selbständigkeit wichtiger ist als die politische.
Allem Anschein nach hat Jesus sich nicht als Messias bezeichnet - und hat es auch abgelehnt, von anderen Messias/Christus genannt zu werden (Markus 8,27-30 - anders dann Matthäus 16,13-20). Wenn es stimmt, dass er von der römischen Besatzungsmacht als König der Juden, also als Aufrührer, hingerichtet wurde, hat er mit dem Tod dafür bezahlt, dass die Menschen in ihm den erhofften Messias sehen wollten.
Nach dem Markusevangelium wurde Jesus nach seiner Verurteilung von römischen Soldaten als König der Juden verspottet und gequält, indem sie ihm eine Dornenkrone aufsetzten, einen Purpurmantel anzogen und ihn geißelten. Als er am Kreuz hing und auf qualvolle Weise starb, verspottten ihn die jüdischen Priester und Schriftgelehrten: Ist er der Christus, der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz. Doch nachdem Jesus gestorben ist, sagt ein römischer Hauptmann, der dabei steht: Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen (Markus 15). Markus will damit wohl sagen: Wenn man Jesus überhaupt als König, Christus/Messias und Sohn Gottes bezeichnen kann, dann nur so, dass damit das Leiden und der Tod Jesu nicht ausgeblendet, sondern ins Zentrum gestellt wird. Nach der Apostelgeschichte des Lukas (2,36) hat Gott Jesus durch die Auferstehung zum Herrn und Messias gemacht.
Man bekommt so den Eindruck, dass Jesus die Rolle des Christus von Menschen in seiner Umgebung geradezu aufgedrängt wurde - sei es, weil sie ihre Hoffnung darauf setzten, dass er der erwartete Heilsbringer ist, sei es, weil sie befürchteten, dass er genau diese Hoffnung wecken wollte um sich zum Anführer des Volkes aufzuschwingen. Jesus hat diese Erwartungen abgewehrt. Aber nach Meinung seiner Anhänger, die nach seinem Tod auf sein Leben zurück schauten, hat er die in ihn gesetzten Erwartungen und Hoffnungen doch in gewisser Weise auch erfüllt - wenn auch auf andere Weise und mit anderem Ergebnis als ursprünglich gedacht und erhofft: Er hat nicht auf einen Schlag mit seinem Wirken die Welt verändert, aber er hat Menschen dazu inspiriert, ihr Leben zu ändern und so zu einer Veränderung der Welt beizutragen. Andere hoffen immer noch auf den „großen Knall“ - darauf, dass Jesus einmal „mit Pauken und Trompeten“ erscheinen und die Herrschaft über die Welt übernehmen wird.
Schon bald ist dann aber Jesus Christus wie ein Doppel-Name verstanden worden. Dass Christus eigentlich Gesalbter heißt und auf die Messias-Hoffnungen im Judentum seiner Zeit verweist, daran hat man kaum noch gedacht - geschweige denn gewusst, dass Jesus selbst aller Wahrscheinlichkeit nach gar kein Messias/Christus sein wollte. Er wurde dazu gemacht - und das hat die Welt verändert. Seine Größe ist nicht die eines starken Helden, der unbeirrt seiner Mission folgt. Er hat sich in Liebe hingegeben für die Menschen, deren Elend und Leid ihn berührt hat. Vielleicht darf man sagen: Er hat sein Leben ihren Erwartungen geopfert - und ist damit auf eine unerwartete, befreiend neue Weise zu ihrem Messias/Christus und König, zum Sohn Gottes geworden.
(Vgl. Reclams Bibellexikon, Stichwort Messias.)